Hilf dir selbst – es kann kein anderer
Was bedeutet Selbsthilfe? Wieso ist Selbsthilfe meiner Meinung nach wichtig? Wie können Selbsthilfegruppen helfen? Wie läuft eigentlich so eine Selbsthilfegruppe ab? Wie komme ich dazu, nicht nur in einer Selbsthilfegruppe zu sein, sondern diese zu gründen? Fragen über Fragen, auf die es wundervolle Antworten gibt.
Was bedeutet Selbsthilfe?
Fangen wir ganz von vorne an: Was bedeutet eigentlich Selbsthilfe? Der Duden definiert Selbsthilfe als das „Sich-selbst-Helfen“. Ohne fremde Hilfe. Ohne Hilfe? Ist eine Selbsthilfegruppe nicht gerade das – fremde Hilfe? Das kommt darauf an, wie man es betrachtet. Selbstverständlich sitzt du nicht alleine in einer Selbsthilfegruppe, sondern ihr seid eben eine Gruppe von circa 7 – 12 Menschen. Doch Selbsthilfe in diesem Fall bedeutet, dass man sich in einer Gruppe Gleichgesinnter selbst hilft. Menschen mit der gleichen oder einer ähnlichen Problematik finden sich zusammen, um sich – und das ist das Relevante – ohne professionelle Hilfe selbst zu unterstützen. Sich gegenseitig und dadurch sich selbst zu helfen.
Natürlich ist nicht abzustreiten, dass jede:r für sich kämpft und nur du selbst die Verantwortung für dein Leben trägst, kein anderer. Aber durch die Gemeinsamkeiten in einer solchen Selbsthilfegruppe kann man sich selbst über andere helfen und das ist oft effektiver, als in seinen eigenen Gedanken hängen zu bleiben. Das bedeutet: Ich helfe mir selbst, indem ich Hilfe suche und annehme. Indem ich mich öffne und austausche. Indem ich mich mit Menschen unterhalte, die eine ähnliche Erkrankung wie ich haben. Indem ich anderen helfe und dadurch eigene Erkenntnisse für mich daraus ziehe. Indem ich Entscheidungen treffe und handle, oder eben nicht handle. Es ist meine Entscheidung, außer vielleicht in Ausnahmesituationen, wo ein Eingreifen von außen unerlässlich ist. Aber das ist ein anderes Thema. Ich meine eher das tägliche Leben mit den immensen Hürden, die diese Erkrankung mit sich bringt. Eine Entscheidung dabei ist es, sich Hilfe zu suchen. In welcher Form? Das muss und darf jede:r für sich entscheiden, denn nicht alles ist für jede:n richtig.
So gut so schön. Aber woher weiß ich, ob eine Selbsthilfegruppe für mich das richtige ist? Bevor ich zu dieser Frage komme, teile ich erst einmal meinen Weg mit dir.
Wie bin ich zu der Selbsthilfegruppe gekommen?
Im Januar 2021 wurde bei mir eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) diagnostiziert. Im Sommer war ich daraufhin für 14 Wochen in einer Tagesklinik, die sich auf die Behandlung dieser Störung spezialisiert hat. Wie hilfreich oder nicht hilfreich die Klinik auch war – eines hat sie bewirkt: Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin mit meiner Problematik. Mit meinen – für manche oft merkwürdig anmutenden – Verhaltensweisen. Ich habe feststellen dürfen, wie gut es tut, wenn ich nicht alles erklären muss, sondern einfach so von anderen verstanden werde. Ich erzähle etwas von Anspannung, jeder nickt und weiß, was ich meine. Sämtliche, sonst Unverständnis hervorrufende Gedanken oder Verhaltensweisen scheinen plötzlich normal. Denn mindestens eine:r kennt sie. Meine krasse Angst vor Telefonaten – fast alle teilten sie. Schwierigkeiten mit Alkohol – fast normal. Und wenn es nicht der Alkohol war, dann eine andere Substanz. Grenzen setzen? Für fast alle ein enormes, teilweise gefühlt unlösbares Problem. Anspannung aushalten bzw. der Umgang damit? Wohl das Hauptthema, die Hauptschwierigkeit. Also der Umgang in einer gesunden Form. Denn dysfunktionale Weisen haben wir alle gefunden. Schädliche. Die eine mehr, die andere weniger schädlich, aber alles langfristig nicht hilfreich, sondern im Gegenteil: Selbstschädigend bis potentiell tödlich. Das Gefühl, alleine zu sein, nagende, kaum aushaltbare Einsamkeit gepaart damit, allein sein zu wollen, sich in Gruppen ausgeschlossen fühlen, Essproblematiken, ein kaum vorhandener Selbstwert, dafür viel Selbsthass, Selbstabwertung, Selbstekel und Scham – endlich habe ich mich „aufgehoben“ gefühlt. Verstanden.
Und dann war die Klinik vorbei und ich wieder zu Hause. Alleine. Auf mich selbst gestellt. Ohne jemanden, mit dem ich reden kann. Naja, ganz stimmt das nicht, eine Freundschaft habe ich in der Klinik geschlossen und für die bin ich unendlich dankbar. Aber irgendwie ist das auch was anderes, als sich in einer Gruppe auszutauschen.
Was nun?
Für mich stellte sich nun also die Frage: Was mache ich? Einen Therapeuten und eine Psychiaterin habe ich. Außerdem Anbindung über die integrierte Versorgung meiner Krankenkasse. Aber der Austausch in der Gruppe, der fehlte mir und so beschloss ich, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Gute Idee, nur leider unmöglich in Köln: Es gibt genau eine aktive Gruppe für Menschen mit einer BPS und die hat eine ewig lange Warteliste. Na gut, dachte ich. Dann muss ich eben selbst aktiv werden – es kann ja nun nicht so schwer sein eine Gruppe zu gründen. Vor allem nicht, wenn man durch den Paritätischen unterstützt wird. Gesagt getan: Ich bin mit der Idee an den Paritätischen herangetreten, habe einen Flyer entworfen, mit Hilfe des Paritätischen Werbung gemacht und eine kleine Liste mit Interessenten zusammengestellt. Von der Idee bis zur ersten Sitzung hat es dann zwar etwas gedauert, weil ich zwischendurch noch einen Klinikaufenthalt wegen Selbstgefährdung eingeschoben habe, aber Anfang 2022 war es dann soweit: Zunächst online, dann – nachdem ich einen Raum gefunden hatte – in Präsenz. Wobei Präsenz für mich immer wichtig war, da ich es viel angenehmer finde, mit Menschen in einem Raum zu sitzen, als nur vor dem Computer, wo man deutlich schneller abgelenkt ist und das Zuhören und Konzentrieren sehr schwerfällt. Nun gibt es „meine“ Gruppe seit ein paar Monaten und wir treffen uns regelmäßig jeden Montag zur gleichen Zeit im gleichen Raum. Und auch wenn ich mich ab und zu förmlich zwingen muss dorthin zu gehen, so darf ich jedes Mal feststellen, wie gut mir unsere Gruppe und unsere Gespräche tun.
Wer sind wir und was bringt das ganze jetzt?
Soviel zur Gründung. Kommen wir nun dazu, wer wir sind und was wir machen. Im Augenblick sind wir ein stabiler Kern von circa 7 Frauen und einigen Frauen, die sich die Gruppe angucken, wieder kommen oder sich doch dagegen entscheiden. Ich bin sehr froh und dankbar, dass es diesen stabilen Kern gibt, denn das gibt mir – und ich glaube auch den anderen – die Möglichkeit, mich mehr zu öffnen. Viele haben Vertrauensprobleme. Viele fühlen sich in Gruppen unwohl. Viele müssen erst einmal mit der Gruppe „warm“ werden. Vor allem, da es sich oft um sensible und sehr intime Themen handelt. Wichtig dabei ist das oberste Prinzip: Alles bleibt in der Gruppe. Es gibt eine Schweigepflicht, die wir auch in unseren Gruppenregeln verankert haben. Das ist wichtig und dadurch ist der Austausch jedes Mal Gold wert. Jedes Mal kann ich etwas mitnehmen. Manchmal finde ich mich in der Situation, die geschildert wird, nicht wieder, finde es aber spannend zu sehen, mit welchen Problemen andere zu tun und zu kämpfen haben. In den meisten Fällen kann ich allerdings Parallelen zu mir und meinen Problematiken ziehen. Das bietet mir die Möglichkeit, meine eigene Situation quasi „von außen“ betrachten zu können, wodurch mir oft Dinge klar werden, die ich ansonsten vielleicht nicht realisiert hätte. Einfach, weil ich zu sehr gefangen in meinen eigenen Gedanken bin. Und diese „Betriebsblindheit“ kennt ja jeder: Es ist immer leichter etwas bei anderen zu sehen und zu erkennen, als bei sich selbst. Dadurch ist es leichter, Hilfestellungen zu geben. Wichtig ist, dass es dabei nicht um Ratschläge geht, sondern um’s Zuhören, Verstehen und Unterstützen. Um neue Ideen oder neue Impulse dadurch, dass man erzählt, wie man selbst eine Situation gelöst hat. In dem Wissen, dass jede von uns anders ist. Andere Voraussetzungen hat. Einen anderen Hintergrund hat. Andere Ressourcen hat. Aber genau diese Mischung macht es auch so wertvoll. Bietet die Möglichkeit, von der Gruppe zu profitieren. Jede ist respektvoll und freundlich, denn jede von uns weiß, wie schwer es ist sich zu öffnen, persönliche Erfahrungen zu teilen. Das heißt nicht, dass nicht auch mal deutliche Worte fallen können. Nein. Es geht darum zu validieren und zu verstehen. Und sich gegenseitig zu unterstützen. Bei Schwierigkeiten, über die man ansonsten mit keinem oder kaum jemandem reden kann. Und ab und an sind dafür eben auch deutliche Worte notwendig.
Wie läuft so eine Gruppesitzung denn jetzt ab?
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie eine Gruppensitzung in der Regel abläuft. Vorab will gesagt sein, dass jede Gruppe dies für sich entscheidet. Es gibt keine allgemeingültige Struktur, die immer sinnvoll ist. Wir haben uns auf folgendes Schema geeinigt:
Eine Sitzung dauert bei uns 1,5 Stunden. Sie wird von einer Moderatorin geleitet. Jede aus der Gruppe kann diese Moderatorenaufgabe übernehmen. In jeder Sitzung wird neu entschieden, wer das macht. Diese Person achtet dann auch auf die Zeit und sorgt dafür, dass die Sitzung nach 1,5 Stunden ein Ende findet. Zu Beginn machen wir eine kleine Achtsamkeitsübung. Um anzukommen. Um sich auf sich selbst und die Gruppe zu konzentrieren. Danach besprechen wir alles, was an organisatorischen Sachen anfällt. Im Anschluss folgt ein sogenannter Check-In, in dem jede berichtet, wie ihre Woche war, ob sie ein Thema mitgebracht hat und wie hoch ihre Anspannung gerade ist. Letzteres ist für uns wichtig, um eine Einschätzung über die Anspannung in der Gruppe zu bekommen und Situationen besser einschätzen zu können. Je nachdem wie viele Themen vorgeschlagen wurden, wird geguckt, welches Thema am Dringendsten bearbeitet werden sollte. Denn es gibt Themen, die können nicht warten und die kommen dann zuerst dran.
Diejenige, die das Thema eingebracht hat, berichtet, was genau sie belastet und was sie sich von der Gruppe wünscht: Konkrete Ideen und Vorschläge? Bestätigung? Austausch gleicher Erfahrungen? Je nach dem wird dann über das Thema gesprochen. Jede kann, keine muss sich einbringen. Wenn es sich um ein Thema handelt, was für eine Person einen Trigger darstellt, also etwas, durch das sie in einen hohen Anspannungszustand versetzt wird, dann kann sie jederzeit die Hand heben und STOPP sagen. Dann wird kurz besprochen, ob es sich dabei um ein Thema handelt, welches heute oder welches im Allgemeinen nicht besprochen werden soll. Beides ist vollkommen in Ordnung und auch wichtig. Denn jede hat andere Hintergründe und jede wird von einem anderen Thema möglicherweise getriggert. Es ist also wichtig, dass jede für sich sorgt und rechtzeitig STOPP sagt. Die Gruppe soll helfen, nichts verschlimmern. Zudem stellt dies eine gute Möglichkeit dar, im geschützten Raum Grenzen setzen zu lernen.
In der Regel wird dann so lange über ein Thema gesprochen, bis die Person, die das Thema eingebracht ist, sich ausreichend gesehen fühlt und das Thema beendet werden kann. Für diese Stunde. Denn selbstverständlich können gleiche Themen immer und immer wieder eingebracht werden.
Die Stunde endet mit einem Check-Out. In diesem reflektiert jede noch einmal kurz, wie ihr die Stunde gefallen hat und wie sie jetzt nach Hause geht. Oft sinkt die Anspannung, ab und an steigt sie auch. Wieder ist beides vollkommen in Ordnung. Sollte die Anspannung bei einer extrem hoch sein, wird allerdings noch kurz geguckt, was sie tun kann, um besser zurecht zu kommen bzw. abgeklärt, ob sie noch Hilfe braucht.
Diese 1,5 Stunden gehen meist sehr schnell vorbei. Bislang hatten wir immer einen wundervollen Austausch, der oft einiges losgetreten hat und der auch zu Veränderungen geführt hat. Ich finde es immer besonders schön, wenn ich davon dann in der nächsten Sitzung erfahre. Daran sehe ich dann, wie viel diese Gruppe bringt. Mir zumindest. Und denen, die regelmäßig wieder kommen vermutlich auch. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist wichtig. Wichtig, damit ich mich nicht ausgeschlossen fühle, nicht komplett allein. Außerdem gibt es mir ein gutes Gefühl, dass die Gruppe mit so viel Begeisterung und Dankbarkeit angenommen wird, denn das zeigt mir, dass ich mit der Gründung genau das Richtige getan habe: Nicht nur mir, sondern auch anderen zu helfen.
Warum kann der Vorteil einer Selbsthilfegruppe für einen persönlich sein?
Wie bereits deutlich wurde, bietet eine Selbsthilfegruppe viele Vorteil und kann meiner Meinung nach einen hilfreichen Weg auf der eigenen Genesungsreise darstellen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es schnell passieren kann, dass mit Unverständnis oder Floskeln auf eine Erkrankung reagiert wird, vor allem auf psychische. Unsere Gesellschaft ist nicht darauf ausgerichtet, psychische Erkrankungen als „normal“ zu betrachten, sondern viele Menschen sehen darin immer noch eine Schwäche der Betroffenen, sodass man sich schnell ausgegrenzt fühlen kann. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass dieses Gefühl von Verstanden werden, von „ich bin nicht alleine, sondern vielleicht ist es doch irgendwie normal, nur eben anders normal“, enorm wichtig ist und guttut. Beruhigt. Kraft gibt. Und einen darin bestätigen kann, dass man sich seine Erkrankung eben nicht „einbildet“, nicht „übertreibt“, sich „nicht genug anstrengt“ oder was auch immer man sich von anderen Leuten schon anhören durfte.
Denn die „Schwierigkeit“ bei psychischen Erkrankungen ist oft, dass diese Gefühle und Verhaltensweisen bei jedem Menschen auftreten. In einem gewissen Ausmaß vollkommen normal sind. Das ist menschlich. Aber das führt eben auch dazu, dass jede:r zu glauben weiß, wie sich etwas anfühlt und wie man damit am besten umgehen sollte. Doch hier liegt das Problem: Es ist eben ein über das „normale“ Maß weit hinausgehender negativ empfundener Zustand. Es ist eine Erkrankung bzw. eine Störung, die einen enorm hohen Leidensdruck mit sich bringt und enorm kräftezehrend ist. Das ist etwas anderes, als eine „normale“ Anspannung. Eine „normale“ Angst. Gerade bei Menschen mit einer BPS werden Gefühle viel intensiver wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Fähigkeit, mit Gefühlen in einer angemessenen Weise umzugehen, oft nur sehr eingeschränkt vorhanden ist. Deswegen haben sich Viele dysfunktionale Verhaltensweisen angeeignet, die oft schädlich sind. Zumindest ist das bei mir so. Und mit Sicherheit auch bei allen anderen, die eine Klinik aufsuchen, denn ohne immensen Leidensdruck würde man das wohl kaum tun. Es ist intensiver. Stärker, als bei „gesunden“ Personen. Wenn ich mit wem rede und diese Person sagt: „Ja, das kenne ich auch. Manchmal fühle ich mich auch total angespannt. Mir hilft dann …“, dann glaube ich das. Der Unterschied ist: Diese Person ist im Zweifel nicht vollkommen konsumiert von ihrer Angespanntheit. Ist noch in der Lage andere Gedanken zu fassen als: „LASS MICH IN RUHE!“ und „DIE ANSPANNUNG MUSS WEG!“ und „Ich weiß, mir hilft Selbstverletzung, aber ich schaffe es auch so. Ich bekomme es so hin. Alles wird gut. Der Zustand hört auf. Ich kann die Anspannung aushalten ohne mich selbst zu verletzen. Selbstverletzung ist nicht hilfreich. Die Anspannung wird nachlassen. …“ Das kann für Stunden so gehen. Joggen, spazieren, Ammoniak, Kältekissen, kaltes Duschen – alle das kann evtl. eine kleine Pause bieten und die Anspannung senken. Manchmal bleibt sie aber auch da. Und mit diesem Gefühl bin ich eben nicht allein, wenn ich mich mit anderen Menschen mit einer BPS unterhalte. Denn die meisten kennen das. Klar, jede Erkrankung ist anders. Es gibt 9 Diagnosekriterien von denen „nur“ 5 erfüllt sein müssen. Eine große Spannbreite. Aber der Nenner ist immer eine instabile-emotionale Persönlichkeit, sodass Anspannungszustände immer vorhanden sind. Aus meiner Sicht zumindest.
Ist eine Selbsthilfegruppe für jede:n etwas?
Wie du siehst, hat eine Selbsthilfegruppe meiner Meinung nach viele Vorteile. Die Gruppe ist also für mich extrem hilfreich. Kannst du daraus schließen, dass eine Selbsthilfegruppe somit für jeden, auch für dich, hilfreich ist? Das kann ich nicht beantworten. Diese Entscheidung liegt allein bei dir. Ich weiß nur, dass man nicht gleich aufgeben sollte, nur weil man mal schlechte Erfahrung gemacht hat. Denn es ist wie immer im Leben: Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Umstände an.
Dazu ein kleines Beispiel von mir persönlich:
Nach meinem 3-monatigen stationären Aufenthalt in einer Klinik für Essstörungen, in der ich aufgrund meiner Magersucht in Behandlung war, dachte ich, mir könne eine Selbsthilfegruppe guttun und helfen. Gerade weil ich dann nicht alleine mit meinem Problem, meinen Schwierigkeiten wäre, die „gesunde“ Menschen nicht nachvollziehen können. Ich bin froh, wenn Menschen das nicht verstehen, weil es bedeutet, dass sie diese Problematik nicht haben. Andererseits tut es mir aber auch gut, mich mit Leuten auszutauschen, denen ich mich nicht erklären muss. Mich dadurch auch ein kleines bisschen weniger schäme. Also habe ich mich für eine Gruppe angemeldet und habe direkt in der ersten Sitzung festgestellt: Das ist nichts für mich! Da gehe ich nicht mehr hin. Warum? Weil es mich persönlich mehr getriggert hat, als geholfen. Einigen sah man ihre Essstörung sehr deutlich an und mein Kopf hat die ganze Zeit gerufen: „Warum darf die so dünn sein und ich nicht? Wieso bin ich so fett geworden? Etc“ Dem wollte ich mich nicht aussetzen und ich bereue diese Entscheidung keine Sekunde. Stattdessen habe ich mit einer Frau aus der Klinik weiterhin Kontakt gehabt und wir haben uns gegenseitig gepusht und unterstützt und sind beide jetzt ziemlich stabil. Diese Form der Hilfe war perfekt. Und genau so ist es: Jede:r darf selbst entscheiden, was hilft und was eben nicht. Es gibt keine allgemein gültige Regel. Das macht es flexibel, aber auch unfassbar schwer.
Nach meiner Behandlung wegen meiner BPS sah die Situation jedoch vollkommen anders aus. Ich habe gespürt, dass mir weitere Unterstützung mit Menschen, die eine ähnliche Problematik haben, guttun würde. Sich austauschen. Sich „normal“ fühlen. Sich gesehen fühlen. Die gelernten Techniken wiederholen und üben. All das wollte ich weiterhin haben und all das bietet mir jetzt meine Selbsthilfegruppe.
Fazit: Eine Selbsthilfegruppe hat unfassbar viele Vorteile. Im Endeffekt, entscheidest aber du und nur du allein, was dir guttut und was nicht. Was dir hilft und was nicht.
Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe gerade nicht das richtige, aber zu einem Zeitpunkt, in dem du stabiler bist? Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe hilfreich, wenn du vorher eine ambulante Therapie gemacht hast? Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe in ein paar Jahren hilfreich, denn du veränderst dich stetig.
Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe aber auch gerade zu diesem Zeitpunkt hilfreich. Zu einem Zeitpunkt, in dem du an dir selbst arbeitest und du durch die Gruppe weiterhelfen willst. Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe gerade jetzt hilfreich, um gespiegelt zu bekommen, wie hart und gut du an dir selbst arbeitest. Wie weit du schon gekommen bist. Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe gerade jetzt sinnvoll, um dir zu zeigen, dass du nicht allein bist. Dass du nicht alleine kämpfen musst. Dass du auch mal „schwach“ sein darfst und dass es einen geschützten Raum gibt, indem du ohne Sorgen, Scham und Ängste, deine Geschichte und Schwierigkeiten erzählen darfst. Einen Raum, in dem dir jede:r freundlich zugewandt ist und dich versteht. Einen Raum, in dem du in Sicherheit bist und aufatmen kannst. Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe gerade jetzt richtig, um dir zu zeigen, dass du gut bist, so wie du bist.
Alles Liebe,
Kristine